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Wir sind Diskurspartner – seid mitverantwortlich!
Zum Tode des Ehrendoktors der Freien Universität Berlin
Karl-Otto Apel
Von
Dietrich Böhler
Karl-Otto Apel
In seinem Haus oberhalb Frankfurts starb, 95jährig, am 15. Mai der
Sprachpragmatiker und Diskursethiker Karl-Otto Apel, nachdem bei
Suhrkamp gerade sein letztes Buch „Transzendentale Reflexion und
Geschichte“ erschienen war.
Der kritische Weggefährte von Jürgen Habermas lehrte in Kiel,
Saarbrücken und seit 1973 an der Goethe-Universität Frankfurt am
Main.
Am 11. Juli 2000 verlieh ihm der Fachbereich Philosophie und
Geisteswissenschaften der FU den Ehrendoktortitel: Nachdem die
Vizepräsidentin der FU, Gisela Klann-Delius, ihr Grußwort, das eine
philosophische Reflexion über „Warum (nicht: wozu) moralisch sein“
war, gehalten, Dekan Gert Mattenklott die Ehrendoktorwürde verliehen
und Dietrich Böhler die Laudatio „Kommunikation, Reflexion,
Mitverantwortung. Über das Denkleben eines philosophe engagé“
vorgetragen hatte, erörterte Karl-Otto Apel „das Spannungsverhältnis
zwischen Ethik, Völkerrecht und politisch-militärischer Strategie“ –
im Blick auf den NATO-Einsatz im Kosovo.
Apels ursprüngliche Einsicht ist die (erstmals 1973 in
„Transformation der Philosophie“, Band II entwickelte) Dialektik
einer idealen Kommunikationsgemeinschaft und den realen
Kommunikationsgemeinschaften: Etwas
als dieses oder jenes verstehend, über etwas redend und etwas
Bestimmtes tuend, sind wir keine einsamen Subjekte (wie die
neuzeitliche Philosophie von Descartes bis Husserl unterstellte),
sondern von vornherein Mitglieder realer Sprachgemeinschaften und
Selbstbehaupter in realen Gesellschaften.
In diesen zwar relativ
durchlässigen, freilich partikularen Sinn- und
Handlungszusammenhängen beanspruchen wir aber immer schon
Geltung, nämlich
Verständlichkeit und Wahrheit, Glaubwürdigkeit und Richtigkeit bzw.
Verantwortbarkeit. Damit haben wir uns stillschweigend auf die
Geltungsinstanz einer idealen Kommunikationsgemeinschaft bezogen, in
der ausschließlich sinnvolle, widerspruchsfreie
Argumente gelten würden
und wo alle, die sinnvoll argumentieren,
gleichberechtigt, aber auch gleichermaßen
mitverantwortlich wären. Wie? Indem sie das Diskurs- und
Moralprinzip „D“ befolgen, das man etwa so formulieren kann:
‚Suche und praktiziere allein
das, was die Zustimmung aller als Dialog- und Argumentationspartner
verdient.‘
Praktisch folgert Apel daraus vor allem dreierlei: Kommunikation,
durch die wir etwas geltend machen, verlangt Mitverantwortung für
deren Realisierungsbedingungen, wie Freiheit, Auskommen,
lebensdienliche Umwelt. Das ist das nicht sinnvoll bezweifelbare
Prinzip Mit-Verantwortung
(so der Titel des vom Hans Jonas-Zentrums der FU zur Ehrenpromotion
veranstalteten internationalen Ethik-Kongresses 2000 und des von
Apel mitherausgegebenen Diskursbuches, Würzburg 2001).
Da jedoch die realen Kommunikationsgemeinschaften mitbestimmt sind
von der Selbstbehauptung der Menschen und den weniger kommunikativ
als strategisch agierenden Selbstbehauptungssystemen der
Gesellschaften und Nationen, der Wirtschaft, der Politik und des
Rechtssystems, könne (und dürfe) man nicht damit rechnen, daß die
beim Argumentieren vorausgesetzten Geltungsansprüche hinreichend
oder nur zumeist auch eingelöst werden. Daraus folgert Apel:
Mitverantwortung läßt sich nur realisieren, wenn wir uns bemühen,
gegen vernunft- und moralwidrige (d. h. mit widerspruchsfreien
Argumenten nicht zu rechtfertigende) Selbstbehauptungs-Folgen
Konterstrategien einzusetzen. Nicht irgendwelche, sondern allein
solche, die sowohl erfolgsfähig als auch zustimmungswürdig sind.
Apel nannte das den verantwortungsethischen „Teil B der
Diskursethik“.
Drittens folgert Apel, in Auseinandersetzung mit seinem Frankfurter
Freund Habermas, daß eine Ethik, die sich durch Besinnung auf uns
als virtuelle Diskurs-Teilnehmer und auf die Instanz des
argumentativen Diskurses begründet, nicht ausschließlich eine
Philosophie der Gerechtigkeit sein kann. Vielmehr schließe die
Diskursethik ebenso Mitverantwortung als Prinzip ein. Gerechtigkeit
und Mitverantwortung seien von vornherein verwoben.
Auf diese Weise holt „the ugly rationalist“ Apel „Das Prinzip
Verantwortung“ von Hans Jonas ein, seinem
deutsch-jüdisch-amerikanischen Denkfreund auf dem anderen, nämlich
metaphysischen Ufer. Ihm hatte die FU 1992 im Beisein von
Bundespräsident Dr. Richard von Weizsäcker den Ehrendoktortitel
verliehen. Wie die vom Hans Jonas-Zentrum verantwortete „Kritische
Gesamtausgabe der Werke von Hans Jonas“ im jüngsten Band (I/2.2)
dokumentiert, hatte Jonas die ökologische Krise und eine globale
Mitverantwortung bereits 1968 bedacht, während Apel eben das 1967 in
seinem Göteborger und Bergener Vortrag „Das Apriori der
Kommunikationsgemeinschaft und die Grundlagen der Ethik“ tat. – Zwei
geistesgegenwärtige Prinzipiendenker in prinzipienunwilliger Zeit
und „against the stream“ einer zumeist prinzipienunfähigen
Philosophie.
Der Bundespräsident veröffentlichte eine Würdigung Karl-Otto Apels,
die mit den Worten schließt: „Das Werk von Karl-Otto Apel ist […]
von herausragender Aktualität. Die von ihm formulierten Regeln und
Grundlagen für eine Argumentations- und Kommunikationsgemeinschaft
unter Gleichberechtigten haben mitgeholfen, nach dem Zweiten
Weltkrieg eine humane und zivile Gesellschaft aufzubauen. Weit über
Deutschland hinaus genoss Karl-Otto Apel zu Recht hohe Anerkennung
und verdientermaßen philosophischen Ruhm.“
Centro Filosofico Internazionale Karl-Otto Apel
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